Und muss in alle Ewigkeit seine bescheuerten Gedanken denken und sie genießen, auch wenn sie, wie übertragene Informationen, immer mehr degenerieren. Zum Schluss verwandeln sie sich in Rauschen.
(„Die Wiedergeburt des Timothy Archer“ Philip K. Dick)
Ich möchte in diesem Kapitel weniger auf das Vergangene und schon Vollendete blicken, als mir Gedanken über meine neuen Gedanken und Konzepte zu machen und Strategien darzustellen, die für mich in ihrer hypothetischen Form sehr wichtig sind, die ich aber noch nicht konkret in meiner Arbeit ausprobiert und umgesetzt habe, entweder aufgrund mangelnder Projektmöglichkeiten und andererseits aufgrund der noch fehlenden Reife dieser Ideen. Denn nicht nur seit den Zeiten der selbst ernannten und scheinheiligen Künstler der Konzeptkunst ist die Darstellung von Möglichkeiten, die gegangen werden könnten, von existenzieller Bedeutung für die Moderne und die Entwicklung der Gesellschaft und Kunst. Ich möchte Strategien im Umgang mit verschiedenen Medien und der Verbindung mehrerer Künste aufzeigen, die eben nicht im multimedialen Fetischismus und glitzerndem Collagewerk münden, die eben nicht der Beliebigkeit und Stümperhaftigkeit verfallen oder auf der anderen Seite der egozentrischen Glamourshow und zum technophilen Selbstläufer werden. Die Szene der derzeit im Bereich elektronischer, multimedialer und interdisziplinärer Musik Agierender, zumindest die in der Öffentlichkeit wahrgenommene und auf Festivals en masse vertretene, ist sehr einseitig und meiner Ansicht nach sehr kritisch zu sehen. Und so sehr sie auch propagieren, am Laufe der Zeit, aus der Gesellschaft der Globalisierung und sozialen Netzwerken heraus zu komponieren, so sehr haben ihre Werke doch meist eher bittere und unschöne Nachgeschmäcke. Ich möchte mich eben deshalb nicht mit ihren Arbeiten auseinandersetzen und sie hier breit thematisieren, man kommt im Alltag der praktizierten zeitgenössischen Musik sowieso nicht an ihnen vorbei und muss sich somit wohl oder übel mit ihnen beschäftigen und sie ertragen, weshalb ich ihnen keine weitere Bühne biete, sondern einzig und allein meine Hoffnungen und Wünsche an moderne, nicht konventionelle Musik- und Kunstformen ausführe. Dabei laufe ich natürlich selbst große Gefahr, in ihre Fehler zu fallen, ich schwinge große Reden und sollte mir doch selbst an die eigene Nase fassen, aber für mich ist es einfach notwendig, meine Perspektive auszusprechen, allein schon, um sie dann vielleicht später einmal fallen zu lassen und weiterzuentwickeln.
Eine der zentralen Formen in der interdisziplinären und avantgardistischen Richtung der Neuen Musik ist die Verwendung von elektronischen Techniken, Geräten und Programmen, als Erweiterung und Ersatz traditioneller Instrumentalmusik. Die Gründe dafür, dass ich bisher noch kein reines Stück, elektronischer Musik geschrieben habe, liegen darin, dass ich genau weiß, was ich mir von elektronischer Musik wünsche, es aber bisher noch nirgends gefunden habe und von daher schlichtweg demotiviert und verunsichert bin, da es solche Musik fast noch nicht oder nicht mehr zu geben scheint. Ich habe viel zu viel schlechte elektronische Musik gehört und will es wenn dann besser und richtig machen. Wenn ich Gründe suche, weshalb und vor allem wie ich die Möglichkeiten der Elektronik in meinen eigenen Arbeiten anwenden und fokussieren würde, möchte ich mich zunächst mit drei Komponisten dieser Musik auseinandersetzen, die aus meiner Sicht wegweisend und einzigartig waren, denen der Umgang mit diesem Medium gelungen ist und die generell zu den drei wohl wichtigsten und vorbildhaftesten Komponisten für mich gehören: Conlon Nancarrow, Alvin Lucier und Luc Ferrari.
Der Erste dieser Drei ist allein schon aufgrund seiner Biografie spannend und faszinierend und es kommt auch nicht von ungefähr, dass ein Komponist desselben Namens in Dietmar Daths utopischem „Feldeváye- Roman der letzten Künste“ als Komponist überirdisch musikalischer Bauwerke mit seiner fantastischen Kunst den Lauf der Zeit verändert und aus einer kunstlosen Zukunft eine Zukunft als Kunst mitgestaltet. Nancarrow war, ähnlich zu Agnes Martin,wenn auch bei ihm aufgrund seiner kommunistischen politischen Einstellung als Kämpfer im spanischen Bürgerkrieg als Teil des Lincoln-Batallions, ein in einem Exil in Mexiko Stadt lebender Künstler amerikanischer Herkunft. Dort widmete er sich, fern abseits und unbeachtet von der Neuen Musik Szene, seinen Werken für Player Piano, die er in mühsamer Arbeit mit bedingungsloser Hingabe von Hand in aufwendigen Schritten auf die Rollen stanzte. Diese Methode ermöglichte ihm einen völlig neuen Grad an Präzision und Perfektion zu erreichen, jedes kleinste Detail konnte rhythmisch fehlerfrei festgelegt werden, er erhielt absolute Kontrolle über seine Musik, da er nicht mehr an Aufführungen und Interpretationen durch Menschen gebunden war, sondern eine Maschine dies übernahm.
Somit ist die Musik Nancarrows vorrangig eine maschinelle Musik, eine Musik, die untrennbar verbunden ist mit den Fähigkeiten und Vorzügen der Technik. Gerade im Bezug auf elektronische Musik, bei der Software und Computer gegebenenfalls genau das darstellen und ersetzen, was bei Conlon Nancarrow noch der pneumatische und mit Stanzrolle betriebene automatische AMPICO-Bösendorfer Flügel gewesen war, ist das Nachdenken über die Präzision essenziell. Denn maschinelle Musik ermöglicht extreme Konstruktion, minimalste Feinheiten und Variationen und eine Komposition von irrealen Räumen und fiktionalen Welten, durch Modulation aller Parameter. Sie eröffnet dem Komponisten vielfältige Möglichkeiten, es liegt an ihm, diese auch in seiner Arbeit bewusst auszunutzen. Gerade in diesem Aspekt sind Nancarrows Werke, alle Früchte langer Kompositionsprozesse, handschriftlicher Skizzen und Partituren und tiefgründiger Überlegungen und Berechnungen (gerade in seinen hochgradig polyphonen, multimetrischen, schnellen Kanons), vorbildhaft und meiner Ansicht nach, wegweisend, auch wenn einem die rohe und harte Ästhetik des Player Pianos missfallen kann. Es gelingt ihm, mit unserer Wahrnehmung zu spielen, seine sich überlagernden Schichten pulsieren, variieren leicht und kaum merklich, um auf der anderen Seite übermenschlich exakt gleich zu bleiben. Dieses Spiel mit Veränderungen und Statik, mit Komplexität und scheinbarer Unspielbarkeit führt uns an die Grenzen des Vorstellbaren, oder des bis dahin noch nicht Vorstellbaren und gerade darin liegt der Reiz und Vorzug der elektronischen Musik und der technischen Hilfsmittel für Komponisten, dass es auf diesem Gebiet noch so viele scheinbar unerforschten Dinge zu entdecken gibt und alles so neu und futuristisch erscheint. Doch Nancarrows Stücke zeigen eben auch, dass diese Musik kein Selbstläufer ist, sondern diese ebenso angewiesen ist auf präzise Arbeit und eine gute Komposition, die die Möglichkeiten auch zu ihrer Stärke ausnutzt.
Wird das Spielen mit der Wahrnehmung zum Mittelpunkt der Kunst, sodass weniger das Werk bedeutsam ist, als die Art, wie wir es wahrnehmen, kommt man den Arbeiten von Alvin Lucier nahe. „Er macht Objekte, die nicht zum Inhalt haben was du siehst, sondern wie man sich selbst beim Sehen wahrnimmt. So verlagert er den Brennpunkt des Werks. Das Werk existiert nicht außerhalb von dir, es existiert an der Stelle an der dir klar wird, dass du es selbst wahrnimmst.“ (Zitat über Robert Irwin). Diese Beschreibung des Werks des amerikanischen Künstlers Robert Irwin, der mit seinen Raum- und Lichtinstallationen der „Light and Space“ Bewegung zugerechnet werden kann, lässt sich auch ohne Weiteres auf Alvin Lucier und seine „phänomenologische“ Musik anwenden. Denn dessen Versuchsanordnungen und experimentelle Musikstücke behandeln nie Themen des persönlichen und romantischen Ausdrucks, sondern sind stärker als Studien der Wahrnehmung, Mikroskopierungen bestimmter akustischer Eigenschaften und Besonderheiten zu verstehen und zu erleben. Lucier lässt die Dinge sein wie sie sind, er bringt sie auf den Punkt, nur in eine passende Form, analysiert ihre Stärken und Schwächen und installiert sie letztlich nur noch in einem räumlichen und zeitlichen Kontext, entweder als Installationen oder Performances gleichenden Konzertstücken.
Während Nancarrows Musik für Maschinen vorrangig die Grenzen klassischer Musik erweitert und im Bezug auf Rhythmik und Polyphonie ins scheinbar Unendliche sprengt und dehnt, übernimmt die Technik bei Lucier vor allem die Rolle des Vermittlers, des Laborgeräts, mit dessen Hilfe wir Dinge verstärkt und gezielt wahrnehmen, meist hören, aber auch sehen oder haptisch spüren, können (man denke an das flatternde Papier bei „Sound on Paper“). Seine Sinuswellen werden elektrisch erzeugt, da sie in der Natur aufgrund ihrer vollkommenen Gleichförmigkeit und Präzision nicht vorkommen. Lucier konfrontiert jedoch diese künstlichen Wellen mit der organischen Natur, dadurch, dass Instrumente lange Glissandi oder lang gehaltene Töne dagegen spielen, wie in allen seiner Kompositionen für Instrumente und Sinusgeneratoren. Elektrische Hilfsmittel sind es auch gewesen, die seine legendären Stücke, wie „I Am Sitting in a Room“, „Music for Solo Performer“, „Vespers“ oder „Music on a Long Thin Wire“ (letzteres ist eindeutig mein Favorit der Genannten), erst ermöglicht haben. Denn ohne Lautsprecher und Mikrofon, Messgerät von Gehirnwellen, Pulsgeneratoren für Echolot und elektrischem Stromfluss würde bei all diesen nichts zu hören sein.
Gleichzeitig macht Luciers Werk nachdenklich über Raum und Zeit und den Umgang damit. Gerade die elektronische Musik mit ihrer, nicht an Menschen gebundenen, Flexibilität, ist eine Kunst der Räumlichkeit und der bewussten Gestaltung der Zeit, anknüpfend an das Spiel mit unserer menschlichen Wahrnehmung. Auch hier sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Fast alles lässt sich auf irgendeine Art und Weise simulieren und gestalten. Man kann Stücke mit scheinbar grenzenloser Weite (räumlich) und Leere (zeitlich) erschaffen oder genau gegenteilig den Hörer mit Enge und chaotischer Überfülle überwältigen und konfrontieren. Es lassen sich feine Bewegungen erzeugen, die Tänzen gleichen (man denke an die schwebenden Bewegungen der tanzenden Maya Deren in ihren Filmen) und gleichzeitig radikale Brüche und Sprünge vollführen. Synchronizität ermöglich Überlagerung und Kontrastierung verschiedener Elemente, Transformation und Modulation eröffnet eine Breite an Verbindungen und Durchgängen und mit all diesen gerichteten Energien lassen sich Werke mit intensiven Energiedifferenzen und Spannungspotenzialen kreieren.
Der dritte Komponist, Luc Ferrari, ist der Einzige der drei genannten, der elektroakustische Musik im strengen Sinne geschrieben hatte. Er arbeite vorrangig mit dem Medium des Tonbands und schuf akusmatische Werke für Lautsprecher oder den Rundfunk, die also ohne sichtbare oder performative Klangerzeugung, wie sie für Lucier mit seinen Experimentalaufbauten und Nancarrow mit seinem Player Piano entscheidend sind, auskommen. Ferrari stammt ursprünglich aus dem Kreis um Pierre Schaeffer und war Mitbegründer der Groupe de recherches musicales. Seine Komposition basierend auf aufgenommenen Alltagsklängen oder auch allgemein auf Tonträgern gespeicherten realen Klängen,ist der musique concrète verwandt. Jedoch unterscheidet sie sich von seinen Zeitgenossen dadurch, dass seine Klänge weniger abstrakt verwendet, verfremdet oder bearbeitet werden, sondern vielmehr ihre Wiedererkennbarkeit und Originalität beibehalten. Für seine Kompositionen sind weniger die technischen Bearbeitungsmöglichkeiten, wie Filter, mechanischer Hall, Klangtransposition und Loop, die um 1950 in einem Studio zur Verfügung standen wichtig. Ferraris Musik lebt und entsteht vorrangig durch den Schnitt.
Der Schnitt, die Montage, ist nicht nur im Entstehungsprozess eines Films einer der wichtigsten kreativen Teile. Der Punkt, an dem sich die einzelnen Aufnahmen zusammenfügen und durchkomponiert werden zu einem Film, ist auch entscheidend für die Tonbandmusik oder auch die Literatur, wenn man an Collagetechniken der damaligen Zeit denkt. Durch das damals noch manuelle und physisch reale Schneiden und Kleben, das sich immer wiederholende Durchhören, Verändern und Anpassen, entstanden bei Luc Ferrari lebendige und dramaturgisch vielfältige Werke, die immer schlicht, scharf kontrastiert und auf das Wesentliche reduziert blieben. So zum Beispiel in seinem Stück „Unheimlich schön“, in welchem die beiden Worte von einer weiblichen Stimme über einen Zeitraum von fünfzehn Minuten immer wieder gesprochen werden, stets mit einer anderen Räumlichkeit und Hallwirkung und im Hintergrund dazu eine Klangfläche zu hören ist, die zum Großteil aus Atemgeräuschen und Rauschen besteht. Das Rauschen und auch das leichte Brummen sind bewusst eingesetzt und verweisen explizit auch auf das verwendete Medium. Es handelt sich hierbei nicht um eine Theateraufführung mit einer monologisierenden Schauspielerin, sondern um eine Tonbandkomposition. Und diese ist verbunden mit der Technik von Aufnahme, Bearbeitung (damit eingeschlossen das Kopieren, Vervielfältigen und materielle Verschleißen der Bänder) und der Wiedergabe. All diese Verfahren hinterlassen ihre Spuren, worin auch die Schönheit der analogen Technik bestand, und prägen sich, in Form verschiedener Störklänge, vorrangig des Rauschens, in die Musik mit ein. Man hört hier förmlich den Schnitt und die Nebengeräusche der Produktion, sie werden, aufgrund der sonst so reduzierten und spartanischen Gesamtanlage, wenig Sprache umgeben von viel Stille, in den Mittelpunkt gerückt. Bei anderen Arbeiten von Ferrari ist dies noch direkter dargestellt, wenn zum Beispiel die Gespräche zwischen Intendanten, Techniker und Komponisten im Studio mit eingehen in die fertige Komposition, wie in seinem Hörspiel „Jetzt- oder wahrscheinlich ist dies mein Alltag, in der Verwirrung der Orte und der Augenblicke“.
Für mich ist dieser Aspekt, des Eigenklangs der Technik, des Grundrauschens in meinen Arbeiten, die auf elektronische Mittel zur Klangerzeugung oder Klangwiedergabe zurückgreifen, ein maßgeblicher bei der Komposition solcher Stücke. Denn gerade das nicht Organische, sondern das Maschinelle, dieser Nebeneffekt des Futurismus, die Schattenseite der scheinbaren Perfektion und Kontrolle, die Störungen sind das Spannende, sind es, die der Elektronik eine gewisse Menschlichkeit und Wärme einhauchen. Daher habe ich auch so eine innige Verbindung und Liebe zu alten oder veralteten Geräten und Technologien, die in meinen bisherigen Installationen und Arbeiten immer wieder zur Verwendung kommen. So vor allem in „Debris“ der Plattenspieler, mit seinem auf der einen Seite so natürlichem und authentischem Klang, der jedoch immer erweitert wird, um das so typische Knistern, Knacken und Rauschen. Hinzu kam bei „Debris“ und in meinem Stück „Sentence“ mein persönliches Lieblingsgerät, da ich mit ihm intensive Kindheitserinnerungen verbinde, der Kassettenrekorder, der wieder eine ganz spezielle Aura, mit dem Klang des sich drehenden Bandes und den Geräuschen der Mechanik, mit sich bringt. Dasselbe gilt auch für alle weiteren Technologien, die ich gerne einsetze und deren Geräte ich, aus Faszination für das Alte, diesem Hang zur Nostalgie, sammle, wie dem Walk- oder Discman, MP3-Player, Radiorekorder und MiniDisc-Player.
All diese Elemente, die ich anhand der Arbeiten von Nancarrow, Lucier und Ferrari analysiert und hervorgehoben habe, die Perfektion und Präzision des Mediums, das Spielen mit der Wahrnehmung und akustischen Phänomenen, die Komposition durch den Schnitt von Alltagsklängen und die Beeinflussung durch die technischen Gerätschaften, sind es, was mich reizt, elektronische Musik oder Musik mit elektronischen Medien zu komponieren. Allerdings fand dies bisher nur in Form von Installationen statt, ich habe jedoch einige Konzepte und Stücke, die ich in den nun anstehenden Jahren meines Masterstudiums angehen und realisieren möchte und auf die ich in einem späteren Abschnitt eingehen werde. Zunächst möchte ich, gerade von den Installationen ausgehend, meine Arbeiten in anderen Künsten betrachten und Querverweise zu meinem Hauptfeld, der Komposition von Musik, herstellen.
Zur Interdisziplinarität gehört für mich, wie schon in den vorhergehenden Kapiteln deutlich geworden ist, vor allem auch die künstlerische Tätigkeit in anderen Medien, außerhalb der Musik und akustischen Kunst (Sonic Art im weitesten Sinne des Wortes). Ich decke eigenständig und unabhängig von meinen musikalischen Arbeiten vor allem die beiden Bereiche der bildenden Kunst, in Form von Zeichnungen und der Literatur, in Form von Poesie, Kurzgeschichten und Essays ab. Auf die Essays werde ich nicht tiefer eingehen, da die vorliegende„Abschluss; Arbeit“ schon einer dieser ist und zum anderen diese sich meist nicht als eigenständige Kunstwerke verstehen lassen, sondern eher als fachliche und frei erzählende Texte zu verstehen sind. Die Kurzgeschichten lassen sich ebenfalls sehr schnell und schlicht zusammenfassen, an ihnen reizt mich vor allem die Kürze und Freiheit, die diese Form bietet. In nur wenigen Seiten lassen sich ganze Welten aufspannen, dramatische Geschichten anreißen und Charaktere entwickeln, jedoch mit offenem Ende und offenem Anfang, sodass nicht alles schlüssig und authentisch sein sowie einen Sinn ergeben muss. Allerdings habe ich in diesem Medium schon längere Zeit nicht gearbeitet und auch meine 2014-2016 entstandenen Kurzgeschichten sollten eher noch als Versuche gewertet werden, mich dieser Gattung anzunähern und sie voll zu begreifen und persönlich, mit meiner Handschrift versehen, auszuführen. Genauer betrachten werde ich nun also meine Zeichnungen, entstanden seit 2013 und meine Gedichte und Balladen, auch wenn diese historischen Bezeichnungen auf meine poetischen Texte seit 2015 nicht völlig zutreffen. Da ich in beiden Medien nur dann arbeite, wenn ich gerade Lust darauf und freie Zeit zur Verfügung habe und zudem noch inspiriert bin, oder konkrete Dinge studieren und ausprobieren möchte, entstehen meine Zeichnungen und Gedichte meist in Zyklen und Werkgruppen. In chronologischer Reihenfolge zu diesen Gruppen zusammengefasst und geeint, möchte ich sie nun auch vorstellen und zueinander in Beziehung setzen.
Meine erste bedeutsame Reihe an Zeichnungen waren die „46 Impressionen“, Tuschezeichnungen aus vorrangig schwarzer Tinte auf weißem Notizpapier im quadratischen Format von 90*90 mm. Schon zuvor hatte ich über einen langen Zeitraum hinweg immer wieder mit Tintenzeichnungen experimentiert, etwa 70 solcher Skizzen sind noch erhalten, um meinen Umgang mit dem Medium zu festigen und zu definieren. Im Herbst 2013 entstanden dann die Impressionen, jede Zeichnung war mit einem konkreten und assoziativen Titel versehen und der Inhalt des Gezeichneten entsprach abstrahierten Bildern und Symbolen, die diese direkten Inspirationen in mir hervorriefen. Schon bei diesen frühen Zeichnungen waren für mich einfachste räumliche Wirkungen, durch Tiefe und Schatten, entscheidend in der Anordnung der Objekte als Gesamtkomposition. Mit wenigen klaren und dünnen Strichen ergeben sich die Formen, dagegen gesetzt sind komplett ausgefüllte und geschwärzte geometrische Figuren, vorrangig Rechtecke und Kreise, aber auch freie oder abgeschnittene Elemente, Halbkreise und Dreiecke. Auch hier schon sind Reduktion und Schlichtheit, die heute meine Arbeiten charakterisieren, anwesend und die weiße Grundfarbe des Papiers, mit seiner leichten Struktur, dominiert den Raum durch seine Stille und kontrastierende Leere. Farbe tritt in diesen Zeichnungen nur neunmal auf, in Form von gelber Tusche, die meist mit nur einen oder zwei kleinen Figuren einen Störklang und Gegenpol in die sonst schwarz-weiß gehaltenen Impressionen bringt. Gleichzeitig betont die gelbe Farbe in diesen Zeichnungen wichtige Objekte, schafft leichte Mittel- oder Schwerpunkte, kleine Lichtblicke und Verwirrungen und unscheinbare räumliche Veränderungen.
Nach den “Impressionen” folgte eine etwas längere Pause, bis ich, mittlerweile nach Lübeck gezogen und nach Beginn meines Studiums, wieder mit schwarzer Tusche zu zeichnen begann, dieses Mal in großem Format auf A4 Papier. In der Regel zeige ich eine Vorliebe für das dünne, industriell weiße Druckerpapier, da dieses extrem klare und helle Weiß einen intensiven Hintergrund bildet, die Farbe hervorstechen lässt und zudem der Schreibfluss auf diesem Papier genau dem entspricht, welchen ich bevorzuge. So sind auch alle meine Zeichnungen bis auf diese Ende 2014 entstandene Reihe, eine genaue Datierung lässt sich nur für die ersten Drei vornehmen, die weiteren drei müssen zu einem späteren Zeitpunkt mit etwas Abstand zu den Vorherigen entstanden sein, auf weißem Druckerpapier gezeichnet. Für diese sechs Bilder verwendete ich jedoch erstmals feines und 200g/m² schweres Zeichenpapier. Dessen etwas cremeweiße Farbe brachte eine Wärme und die deutlich strukturiertere Oberfläche eine gewisse Unschärfe und Tiefenwirkung mit in die Zeichnungen, von denen die ersten drei im Querformat und die letzten drei im Hochformat angefertigt sind. Die ersten drei tragen zudem noch fantastische Titel, die jedoch nun im Vergleich zu den „Impressionen“ weniger assoziativ gemeint und direkt in die Komposition eingingen, sondern vielmehr im Nachhinein als zusätzliche Deutungsebene und zum Spiel mit dem Rezipienten hinzugefügt wurden („Dal Niente“, „So finster die Nacht“ und „From the Dust“). Gleichzeitig war es auch das letzte Mal, dass ich solche Titel vergab, schon bei den hinteren drei Bildern dieser Serie lies ich diese, wie bei allen folgenden Zeichnungen, weg, da mir die Neutralität und Offenheit in der Wahrnehmung eines unbenannten Werkes, so wie ich es auch in meinen musikalischen Kompositionen zum Großteil praktiziere, besser gefällt, als eine romantisierte Vorprägung.
Die Größe des Papiers forderte meine Fähigkeit zur Komposition mit der Fläche und dem zur Verfügung stehenden Raum, meine Art der Anordnung und Entwicklung von Elementen und meine Fantasie in der Gesamtgestaltung sehr heraus, da meine gezeichneten Linien und Objekte in ihrer Größe im Vergleich zu den „Impressionen“ kaum zunahmen, zumindest nicht in den ersten drei Zeichnungen. Somit stand mir im Vergleich zum quadratischen Notizpapier plötzlich viel mehr Weiß zur Verfügung, das gefüllt und energetisch, dramatisch mit eingebunden werden musste in die Zeichnung. Auffällig ist auch, dass die Anzahl und Dominanz der geometrischen, ausgefüllten und umrissenen Formen abnahm und stattdessen längere Linien und ausdrucksvollere, da gekrümmte, gebrochene oder geeckte Striche zu den Hauptelementen meiner Zeichnungen wurden.
Ende 2015 entstanden vereinzelte Studien mit orangener und hellgrüner Tusche aus Finelinern aus denen dann ein paar Monate später die neue Reihe der „Triptychen“ werden solle. Diese 23 Einheiten aus je drei zusammengehörigen Zeichnungen waren nun erstmals explizit auch als Studien und Versuche angeordnet und gedacht. Denn die drei Farbkombinationen pink und türkis, lila und grau sowie orange und grün sollten auch die drei Farbenpaare meines, durch Ellsworth Kelly inspirierten, Orchesterstücks „Triptych“ werden. Ich erweiterte die ursprünglichen Zeichnungen um Komplementäre, in den weiteren zwei Farbkombinationen und entdeckte dabei meine Freude daran, weshalb sich der Zyklus schnell auf die heutige Größe ausdehnte. Kennzeichnend für die „Triptychen“ sind neben den klar dualistischen Farbkontrasten vor allem die zusammenhängenden Formen in drei nebeneinanderhängenden Zeichnungen, alle entstanden auf weißem Papier im A6 Hochformat. So ist die Anzahl der ausgefüllten Objekte, der Striche und auch deren etwaige Größe auf allen drei Zeichnungen jeweils gleich, nur die genaue Komposition und Ausgestaltung unterscheidet sich, wodurch spannungsreiche und vielfältige Einzelbilder entstanden und gleichzeitig der Zusammenhang und die Einheit als ein „Triptychon“ jedes Mal gewahrt bleibt. Diese Versuche halfen mir, mich mit den Farben und ihren Wirkungen vertraut zumachen, sowie die Verhältnisse von Linien und geometrischen Formen weiter auszuprobieren und zu studieren und diese Tätigkeit war äußerst inspirierend und prägend für die zeitgleich erfolgende Komposition meines Werkes für sinfonisches Orchester.
Schon bald stellte sich jedoch für mich heraus, dass ich einen deutlichen Favoriten unter den drei gewählten Farbkombinationen hatte, dessen Partnerstück im Orchestersatz mir ebenfalls am meisten ans Herz gewachsen war: „Purple and Grey“. Im Orchesterstück ist dies der reduzierte, minimierte Mittelsatz, das kammermusikalisch eingefärbte Duo von Marimba und Harfe auf meinem Lieblingsintervall d‘ und e‘. So,wie ich daraus später ein souverän eigenes Stück, das Gitarrenkonzert und Quintett „Solitaire“ entwickeln sollte, entstand auch aus den Zeichnungen in lila und grau bald ein eigener und selbstständiger Zyklus, die „71 Studies in Purple and Grey“. Im Gegensatz zu den leuchtenden, ja beinahe schon neonfarbenen, Kombinationen von pink und türkis und orange und grün, sind lila und grau beides eher dunklere Farben, grau sogar eher eine Antifarbe, die introvertierter, bedeckter und zurückgenommener erscheinen. Unaufdringliche Kunst zu schaffen, die dennoch, oder gerade deshalb, bei aufmerksamem Erleben unglaublich intensiv und körperlich wirksam ist, dass ist mein Schwerpunkt und meine Stärke geworden. Und um dies zu erreichen, waren die 71 Studien wegweisende Übungen.
Noch stärker als in den „Triptychen“ rückte in diesen Zeichnungen die Rolle der Komposition, die Verbindung und Täuschung dieser zwei sich so ähnelnden Farben und die Auswahl der gezeichneten Objekte in den Mittelpunkt der Wahrnehmung. Denn nicht mehr der blendende Farbkontrast dominierte mehr das weiße Papier, dessen Format und Ausrichtung ich beibehalten hatte, sondern einzig und allein die aus- und dargestellten Elemente füllten die Stille des Weiß mit etwas Leben, mit feinen und schüchternen Formen. Auch beschränkte ich die Art der Formen immer weiter, es gab nur noch parallele Striche, immer in einem fast perfekten rechten Winkel zu einem der Ränder und die ausgefüllten Flächen waren beschränkt auf Rechtecke, Kreise und Halbkreise, die schrägen Linien, Kurven, Dreiecke und freien organischen Figuren der „Tryptichen“ waren verschwunden. Nichts sollte mehr durch zu viel innerliche Spannung ablenken vom Gesamtbild, alles sollte ruhig und in sich geschlossen sein und nur feine Relativitäten hervorheben.
Mein Aufenthalt in Tallinn im Frühjahr 2017 brachte dann einschneidende Veränderungen mit sich und dort sollte sich mein heutiger Zeichenstil formieren und ausprägen. Wie schon in vorherigen Kapiteln erwähnt, war meine Zeit in Estland geprägt von Kälte, Stille und einer gewissen Melancholie der Einsamkeit und gleichzeitig auch die Zeit, in der ich in Ruhe über mich, meine Ästhetik und Arbeit und mein Verhältnis zu anderen Menschen und der Kunstwerke nachdachte. Das Duo rückte damals als musikalische Form in das Zentrum meines kompositorischen Schaffens, als eine der intimsten und persönlichsten Gattungen der Kammermusik und dies kam wieder nicht ohnehin, sondern war verbunden mit einem wegweisenden Zyklus aus Zeichnungen, den „49 Duos in Ink“. Diese Zeichnungen entstanden alle, bis auf die Letzte, die sieben Tage später gezeichnet wurde, innerhalb einer Woche (23.1.-30.1.2017), der drei Tage vor meiner Abreise und der ersten vier Tage nach meiner Ankunft. Da ich sehr sensibel auf Umweltveränderungen und mein Umfeld reagiere und deshalb auch Reisen meist zu vermeiden suche und mich eine Konfrontation mit starken Neuerungen erst einmal überwältigt und überfordert, versuchte ich meine Emotionen dieser Zeit des Umbruchs durch Zeichnungen zu beruhigen und zu besänftigen.
Wie im vorherigen Kapitel angedeutet, spielt die Sprache und vor allem auch das Schreiben eine große Rolle in meinem Leben. Nicht nur die Literatur, sondern auch die Musik ist fest verbunden mit dem Schreiben auf Papier und so hält es sich ebenfalls mit meinen Zeichnungen, den Bewegungen von Farbe auf weißem Grund. Durch den biografischen Hintergrund eines Vielschreibers hat für mich die Kombination von blauer Tinte aus meinem einfachen Schreibfüller mit dem weißen Papier eine unglaublich intensive Aura und Ausdrucksstärke. Diese wurde nun in den „49 Duos“ zum ersten Mal auch explizit Teil meiner bildnerischen Tätigkeit. Gleichzeitig wandte ich mich klar ab von geometrischen Formen und geraden Strichen und stellte stattdessen die gebogene, gekrümmte, organische, bewegliche, lebendige Linie oder, mit einem musikalischen Terminus versehen, die Melodie in den Mittelpunkt. Dieser Wandel rührte nicht zuletzt auch von meinen Überlegungen und musikalischen Konzepten zu einer modernen Monodie her, wie schon anhand der Beschäftigung mit Charles Koechlins art monodique dargestellt wurde.
Zwei Linien aus blauer Tinte, jeweils zweimal möglichst genau nachgezeichnet, wodurch feine Unterschiede sowie eine räumliche Tiefendimension entstehen, füllen das weiße A6 Papier (wie alle meine Zeichnungen seit den „Triptychen“ im Hochformat). Sie teilen den Raum auf in Zellen, umschließen oder öffnen ihn, sie berühren oder schneiden sich, nähern sich an und entfernen sich voneinander, sie münden und beginnen im Nichts oder an den Rändern des Papiers und scheinen so in die Unendlichkeit weiterzufließen. Dabei stand stets der melodische Fluss im Mittelpunkt, keine abstrakte oder theoretische Grundordnung und Regelsetzung, sondern einzig und allein die Intuition, Inspiration und haptische Führung der Hand bestimmten, wie sich die Melodien über dem Papier ausbreiteten. Für mich sind diese Zeichnungen zum einen durch meine Erinnerungen an die Zeit der Entstehung, die durch meine emotionale Verfassung auch Einfluss auf die Art der Federhaltung und Komposition genommen hatte, zum anderen durch die extreme Schlichtheit und Klarheit die intensivsten, intimsten und vielseitigsten Bilder, die ich je gezeichnet habe.
Parallel zu den „49 Duos in Ink“ zeichnete ich am 27.1.2017 noch eine „Special Edition“ von fünf schon entstandener Zeichnungen, dieses mal mit grauem Bleistift und einfachem Strich, nach. Hier sind die Linien noch dünner und unsicherer, die graue Farbe wirkt noch kälter und nüchterner, das macht diese Sonderedition so besonders. Doch gleichzeitig hat sie mir auch gezeigt, dass nichts an die Kraft von blauer Tinte auf weißem Grund heranreichen wird.
Im März und April 2017, ebenfalls noch in Tallinn, kam es dann zu einer weiteren Reihe an Bildern, den „36 Maps“ mit Bleistift auf weißem A6 Papier im Hochformat. Zugehörig zu diesen Zeichnungen entwickelte ich auch mein System der speziellen Ausgaben weiter, es entstanden vier Sonderreihen mit je 5 zusammenhängenden Bildern, mit pinken Linien und lila Punkten, mit lila Linien und pinken Punkten, mit lila Nummerierung und pinken Punkten, sowie mit pinker Nummerierung und lila Punkten. Die „Maps“ bestehen aus Freihand gezeichneten und leicht unförmigen Ovalen, unterschiedlicher Größe, an deren Umrissen zehn Punkte (bei den Special Editions zwölf) angebracht sind. Diese Punkte wurden in frei gewählter Abfolge durchnummeriert und von Punkt zu Punkt gekrümmte Linien durch das Oval gezogen. So entstanden Landkarten, Wege von einer Zahl zur nächsten, Ordnungssysteme, die ich angeregt aus meiner Methodik des Mind-Mappings, in meinem musikalischen Kompositionsprozess und in meiner Verwaltung von Notizen und Skizzen, entwarf. Ich führte zwar alle dieser Zeichnungen aus, stellte aber schnell fest, dass sie mich ästhetisch nicht befriedigten. Die unterschiedlichen Muster innerhalb der Ovale, durch Kreuzungen der Verbindungslinien und die etwas kühle, rationale Struktur und Komposition der Bilder besaßen zwar durchaus ihren Reiz, aber das Resultat konnte mich nicht überzeugen, zumal diese Bleistiftzeichnungen (trotz der Verwendung von Farben in den speziellen Editionen) einfach nicht mit der Stärke von blauer Schreibtinte mithalten konnten.
So ist es auch nicht verwunderlich, dass ich für meinen nächsten Zyklus, die „9 Views“ wieder zurückgekehrt bin, zu der Farbkombination der „Duos“. Diese, wieder mit einem Ortswechsel und der Verarbeitung von neuen Reizen und Einflüssen verbundenen Zeichnungen, entstanden während meiner Residenz in Rolandswerth, verwenden nun jedoch großes A4 Papier. Drei blaue Linien formen Blicke, Ausblicke, Landschaftszeichnungen in abstrahierter und subjektiver Form. Ich war sehr geprägt von dem Ausblick, den ich von meinem Zimmer in der Villa Wasmuth aus auf das vor mir liegende Siebengebirge, auf den Drachenfelsen und die Drachenburg und den Rhein sowie die kleine Insel Nonnenwerth genießen konnte. Emotional war dies einer der schönsten Monate in meinen letzten Jahren, umgeben von einer atemberaubenden Natur, in einem traumhafen Haus, zusammen mit einem Mitbewohner (dem Komponisten Stefan Beyer), der zu einem guten Freund wurde und weiteren Freunden, die uns besuchten und zudem noch in der Herbstzeit, da man frischen Federweißen und Apfelsaft kaufen konnte. Die Formen der Natur, des fließenden Wassers des Rheins, der Berghänge, Felsen und Täler, der Bäume und Wälder, sie beeinflussten mich nachhaltig. Organische Linien rückten auch in der während der Residenz entstandenen Arbeit, dem „Duo IV für Charles Koechlin“ in den Fokus meiner Musik und auch die „9 Views“ leben von Wellenformen, Polaritäten, Kanten, weichen Rundungen und der Bildanlage im Stile eines Panoramas.
Moderne Rheinromantik ist es, was ich in den Zeichnungen, die, mit der durchscheinenden, aquamarinblauen Tinte, Assoziationen an meine geliebten Aquarelle von Paul Cézanne oder Per Kirkeby hervorrufen, einfangen wollte. Die Sehnsucht nach der Natur, der unendlichen Ruhe und Stille, der meditativen Klarheit und Schlichtheit, der Selbstgenügsamkeit und immerwährenden Geduld hat schon romantische Künstler vom Rhein und seiner Landschaft schwärmen lassen und auch heute noch empfinden wir einen großen Durst nach dieser Idylle. Genau aus diesem Grund habe ich auch diese neun Zeichnungen eingebaut in meine Installation zum Thema „Durst“ im Auftrag des Zentrums für Musikkultur in Lübeck. Diese Installation war Teil von „Transgeneration“ einer musikalischen Vernissage im Januar 2018, die verschiedene Kunstformen vereinte, Tanz, Gesang, Performance, Video, Skulptur, Klanginstallation (eben meine Arbeit „Durst“) und Poesie (meine später vorgestellte Ballade „Hoch zu Ross).
„Durst“ ist eine Klanginstallation, ist bildende Kunst, ist Skulptur und Raumkomposition, die aus meiner Beschäftigung mit der Art Povera hervorging. Diese „arme Kunst“ ist charakterisiert dafür, dass sie aus konzeptionellen Werken, meist in Form von räumlichen Installationen, hergestellt aus gewöhnlichen und alltäglichen Materialien, besteht. Ich wollte mit „Durst“ gezielt einen gesamten Raum erschaffen, der schon in sich selbst eben mehr ist, als die Gesamtheit seiner einzelnen Teile. So kreierte ich eine Umgebung, die die auf einer spröden Pressspanplatte angebrachten Zeichnungen der „9 Views“, ein an einer Säule angeschlagenes Schild mit der Einführung, ein abgenutztes Sofa mit frontalem Blick auf die Bilder und ein, auf einem Beistelltisch angebrachtes, Mini-Disc Gerät mit zwei Kopfhörern vereinte. Durch das Mini-Disc Gerät, dem ersten digitalen und portablen Aufnahmegerät das es auf dem breiten Markt zu kaufen gab, konnte man Aufnahmen eines künstlichen Flusses lauschen, dem Rauschen und Knistern eines Glases voll Wasser mit Kohlensäure. Der gesamte Raum wurde somit zum synthetischen Scheinbild einer idyllischen Rheinromantik, welche allerdigns auf ganzer Linie versagte. Alles war nur Maskerade und irgendwie unpassend, veraltet, verratzt und nicht zeitgemäß im Jahre 2018 voll weltweiten Durstes nach Wasser, Dürre- und Hitzeperioden infolge der Klimaerwärmung und Monopolisierung des Wassers durch den Konzern Nestlé. Wir können entweder die Schönheit dieser Dekadenz, des künstlich mit Kohlesäure versetzten Wassers, während Menschen verdursten oder aufgefangenes, dreckiges Regenwasser trinken, beobachten und ertragen oder sogar genießen, wir können in die Esoterik, Verklärung und den Naturkitsch versinken, um die schöne Rheinromantik aufrecht zu erhalten, wir können alles ignorieren und den Raum gar nicht erst betreten, den Kopfhörer nicht aufsetzen, die Bilder nicht beachten, oder wir können erfahren, dass alles nicht passt und versuchen, in der Konfrontation damit neue Lösungen für unseren Durst zu finden.
Noch abschließend zu meinem bildnerischen Werk möchte ich eine im November 2018 entstandene Reihe erwähnen, da sie meine bis heute letzten Zeichnungen beinhaltet, die „Studies in Red“. Für diese Bilder kehrte ich wieder zurück zum A6 Papier im Hochformat und auch zur Verwendung von Finelinern, dieses Mal in einem dunklen Rot. Rot ist eine Farbe, zu der ich eine große Abneigung empfinde, die ich selbst in meinen Zeichnungen noch nie zuvor verwendet hatte und auch sonst meide. Rot ist für mich verbunden mit dem Menschen, dem Körperlichen, Blut, Wunden, Narben und kein Bestandteil von Kunst. Die roten Kammern (vor allem „Red Room (Child)“), roten Tintenzeichnungen (vor allem die „Insomnia Drawings“) und roten Aquarelle (vor allem „Les Fleurs“) von Louise Bourgeois, deren Gesamtwerk wortwörtlich von einem roten Faden durchzogen wird, haben mich jedoch nachdenklich gemacht über die Kraft und Wirkung dieser Farbe. Gleichzeitig steckte ich damals in der Arbeitsphase an meiner bisher aufwendigsten Komposition „Châtaigne“. So ergaben sich zwölf Zeichnungen von je zwei roten Linien, mit zahlreichen Kurven und Krümmungen, die sich jedoch nie berührten und an dessen je eine rote Kugel in unterschiedlichen Größen angebracht war. Im Vergleich zu den Strichen meiner „Duos“ und „Views“ waren diese Linien jedoch eher an Körperformen, den Mustern von Sehnen und Muskeln und den Strukturen von Knochen inspiriert. Ich wollte in diesen Studien den menschlichen Körper greifen, abstrahieren und transformieren in blutrote Werke auf weißem Papier.
Schrift auf Papier führt mich nun zur Lyrik. Mein Kernansatz von Poesie ist, dass ich mich nicht so sehr um historische Konzepte oder aufgesetzte Modernität kümmere, sondern einzig und allein, um das geschriebene Wort und den Klang der gesprochenen Sprache. Diese Zweiheit bildet für mich die Kunst der schönen Sprache. Deshalb habe ich bisher keine Texte im Stile konkreter Lautpoesie verfasst ebenso, wie ich mich nicht auf die, entweder tödlich spröde und vertrocknete oder blumig verklärte und kitschige Sprache, der meisten zeitgenössischen Poeten einlasse. Wenn ich in Buchhandlungen, die ich seit meiner Kindheit liebe, wobei ich hier anmerken muss, dass echte und inspirierende Buchhandlungen, diese kleinen Wunderkammern und engen Räume gefüllt mit menschlichen Gedanken und Werken der Fantasie, leider aussterben und kaum noch zu finden sind, die ausliegenden Gedichtsbände moderner Autoren öffne, so klappe ich sie meist nach nur einem Wort, Satz oder spätestens nach einer Strophe wieder zu. Es ist einfach eklig, widerlich und zu bedauern, für die deutsche Sprache und Geschichte der deutschsprachigen Poesie (auf internationale möchte ich in diesem Essay nicht zu sprechen kommen), was man da zu lesen bekommt.
Die Lyrik ist die einzige Form der Künste, bei der ich nicht die zeitgenössischen Werke denen des frühen 20. Jahrhunderts oder sogar den klassischen Meistern vorziehe. Ich möchte mich deshalb auch nicht weiter mit anderen Poeten und ihren Arbeiten beschäftigen, da ich gestehen muss, dass ich außer ein paar Gedichten von Hilde Domin und Ingeborg Bachmann auch in den letzten fünf Jahren keinerlei poetische Texte mehr gelesen habe, und meine Versuche in der Sprachkunst in den Fokus stellen. Dazu muss ich noch anmerken, dass auch hier die Phasen zwischen kreativen Schaffensperioden sehr weit auseinanderliegen. Meine Gedichte lassen sich klar einteilen in drei Gruppen, die Gedichte im engen Sinne des Wortes, moderne Formen von Balladen, sowie etwas sonderbare Sprachkunstwerke.
Die Sprachkunstwerke wiederum bestehen aus zwei Einheiten, welche beide 2016 entstanden sind. Dem sogenannten „Triptych“, in Verbindung zu meinen Überlegungen zu einer Dreiheit, wie sie ja schon an den zur selben Zeit verfassten Arbeiten „Triptych for Ellsworth Kelly“ und „Triptychen“ aufgezeitgt wurde und den vier „Wortsteinen“. Der „Triptych“ ist eine Sammlung aus drei selbstständigen Sätzen, die aus jeweils vier Silben bestehen und zusammen ein Gesamtwerk ergeben: „Hier ist es kalt. Ich habe Angst. Dort ist Schweigen.“. Auffällig ist, dass es sich dabei um ganz alltägliche und keinesfalls künstlerisch hochwertige Sätze handelt. Genau darin liegt die Kraft und Besonderheit des „Triptychs“. Denn er ist das Produkt einer mehrmonatigen Arbeit, er ist die Essenz, das intensive Konzentrat der Suche und des Kampfes eines Künstlers, eines jeden Menschen. Diese drei Sätze kann jeder sprechen, jeder versteht sie, für jeden haben sie eine intensive emotionale Bedeutung. Zudem sind zwei der Sätze noch Anspielungen auf Texte, anderer Schriftsteller, wobei mir die Querverweise erst zu späteren Zeitpunkten durch Zufälle auffielen. Der erste Satz ist ein Vers in dem Frühwerk von Hans Christian Andersen „Das sterbende Kind“, eines, in Gedichtform verfassten, letzten Monologs eines sterbenden Kindes, der an seine Mutter gerichtet ist, der zweite Satz ist der erste Satz in Ronald M. Schernikaus „Kleinstadtnovelle“, in der es um die Qualen eines an der Schwelle zum Erwachsensein stehenden homosexuellen Jugendlichen geht. Der dritte Satz jedoch entstammt meiner großen Sehnsucht nach der Stille, nach dem nicht mehr sprechen Müssen, die ich in einem anderen Gedicht, welches als Vorläufer zu diesem Teil des „Triptychs“ diente, wie folgt beschrieb: „Kann nicht singen. Kann nicht sprechen. Kann nicht schweigen.“.
Die „Wortsteine“ sind meine wohl abstraktesten und in ihrer Strenge und Konsequenz brutalsten Gedichte. Zwei bestehen aus neun, die anderen beiden aus sieben, untereinandergeschriebenen Worten. Zwischen diesen Worten, die wie Bausteine nebeneinandergestellt sind, gibt es keine grammatikalischen oder anderweitig offensichtlichen Verbindungen, sie werden allein durch den Klang der Aussprache und die Assoziationen, die diese Wörter hervorrufen, zusammengehalten. Klanglich steht das Trockene und Harte der Sprache im Vordergrund, es entsteht keine warme und fließende Melodie, jedes Wort bricht mit dem vorherigen und kämpft mit diesem, scharfe Konsonanten wie ss, z, sch, v und t sind omnipräsent. Auch die Silbenverteilung wurde objektiv festgelegt und streng geordnet mit scheinbar symmetrischen und strukturellen Mustern, die gestört werden von unvorhersehbaren Wendungen (Die Silbenverteilungen der vier „Wortsteine“ sind wie folgt: 1-1-1-3-1-2-2-2-2/ 2-2-1-2-2-2-2-2-3/ 3-2-3-2-1-2-4/ 2-2-2-2-2-2-1)
Meine freien Gedichte lassen sich nur schwer einheitlich analysieren. Entstanden sind die meisten in zwei Schaffensperioden, von 2015-2016 in Lübeck (gesammelt unter dem Titel „Wie sein eigenes Herz“) und während, beziehungsweise um, den Zeitraum meines Studiums in Estland 2017 (gesammelt unter dem Titel „Was wirklich zählt“). Was sie alle vereint, ist vor allem meine Liebe zum Spiel mit Silbenanzahlen, zur Erzeugung von Symmetrien und Beziehungen innerhalb der Strophen und im Verhältnis der Strophen zueinander. Denn die Silben geben den Rhythmus der Sprache zu einem gewissen Grad vor, sie sind es, die dem Gedicht ihre Linearität und zeitliche Wirkung verleihen. Damit verbunden ist auch der Klang der Vokale und Konsonanten, der Worte allgemein, die durch die Aneinanderreihung von Silben entstehen, denn diese bringen die Farbe in die Sprache, mit den Worten male ich sozusagen poetisch, sinnliche Klanggemälde. Damit verbunden ist, dass ich assoziationsreiche Wörter bevorzuge, mit den Bildern spiele, die diese hervorrufen und sie zueinander in Beziehung setze. Deshalb verstehe ich meine konventionellen Gedichte auch angelehnt an etwas, dass sich als moderner Symbolismus bezeichnen ließe. Der Symbolismus ist fest verbunden mit den Werten und Konzepten des Ästhetizismus, über welchen ich mich schon wertschätzend in den vorhergehenden Kapiteln geäußert habe, denn die Symbole, Onomatopoesien und Neologismen dieser stilistischen Epoche dienen letztlich nur dem einzigen Zweck, Texte der Schönheit zu verfassen. Und so, wie ich in meinen Kompositionen nach einer zeitgemäßen Form abstrakter Schönheit gesucht habe, habe ich auch diese Suche in meinem literarischen Schaffen durchlaufen.
Darin liegt vielleicht auch der größte Unterschied zwischen meinen frühen Gedichten und den Arbeiten seit 2017, dass ich noch viel stärker und geschickter mit meinen Worten gelernt habe, umzugehen. Denn was in den Gedichten der Sammlung „Was wirklich zählt“ noch intensiver und bedeutsamer wurde, als bei den Vorhergehenden, ist die Psyche, das kleine imaginative Theater, welches sich in diesen kurzen Texten abspielt, die Anspannungen, Energien und Kräfte, die in wenigen Worten freigesetzt werden. Hierfür möchte ich noch einmal einen Querverweis zu einem Künstler herstellen, der mich in den ersten Monaten des Jahres 2017 sehr beeinflusst und umgetrieben hat: Francis Bacon, dem ja auch mein „Duo II für Francis Bacon“ für Violine und Akkordeon gewidmet ist. Nachdem ich eine Retrospektive seiner Arbeiten in der Staatsgalerie Stuttgart gesehen hatte, war ich entsetzt und zu tiefst bewegt über die emotionale Direktheit und Unbarmherzigkeit, wie er den Betrachter ergreift und mitreißt in die Abgründe, die Mäuler, die Gefängnisse seiner Gemälde. Gilles Deleuze Betrachtungen zu der Arbeit von Francis Bacon „Francis Bacon- Logik der Sensation“ gaben mir dann zudem noch weitere Impulse, auch in meinem Schaffen die Kräfte, die Sensationen, die Deformationen, aufzugreifen. So sind die danach entstandenen Gedichte vielleicht noch sehnsüchtiger, noch emotionaler und noch eindringlicher, als die Arbeiten zuvor. Wobei es mich erstaunt, dass eines meiner stärksten Gedichte „Schlag mich noch einmal“, das zur Textgrundlage meines „Quintett II“ werden sollte, schon deutlich vor dem intensiven Kontakt mit Francis Bacon entstanden war (man muss hinzufügen, dass ich mit Bacons Werk schon viele Jahre früher vertraut gemacht wurde, es mich aber erst Anfang 2017 wirklich aktiv inspirierte).
Zwei Gedichte fallen jedoch komplett aus dem Rahmen meiner sonstigen lyrischen Tätigkeit. Ich bezeichne sie auch oft als moderne Interpretationen einer Ballade: das für die Installation „Debris“ entstandene „Bound to Fail“ und der Text für die musikalische Vernissage zu transgenerationalen Übertragungen und Traumata „Hoch zu Ross“. Auf die Hintergründe und das Konzept von „Bound to Fail“ bin ich ja schon im Kapitel „Störklang“ eingegangen und möchte deshalb nur noch ein paar sprachliche Besonderheiten aufzeigen. Eine Ballade ist zunächst einmal ein mehrstrophiges, erzählendes Gedicht, wobei es ursprünglich meist auf historische Begebenheiten oder zeitgenössische Ereignisse zurückgreift und oftmals mit einer Pointe versehen ist. Die von mir verwendete, moderne Interpretation, der Ballade, welche mehr in Richtung des Erzählgedichts zu verstehen ist, verzichtet nun auf eine konkrete, dramatische Handlung, sondern abstrahiert diese auf ein psychologisches Kammerspiel und die Pointe wird umgewandelt in eine unendliche Wiederholung im Falle von „Bound to Fail“ und in eine negative Verzweiflung in „Hoch zu Ross“. Entscheidend für die Anlage von „Bound to Fail“, da das Gedicht als Klanginstallation geplant war, war ebenfalls die offene Form, dahin gehend, dass der Hörer an jedem Zeitpunkt einsteigen und aufhören konnte, zuzuhören und gleichzeitig ein kontinuierlicher Fluss gewährleistet wurde, das Gedicht somit keinen fest definierten Anfang und Ende besaß. Die Erzählung dreht sich mehr oder weniger um sich selbst, der depressive Wortschwall führt mal in die eine, mal in eine andere Richtung, kommt dabei aber nie voran oder zu irgendeinem Schluss. Gleichzeitig ergibt sich für jeden Hörer eine ganz individuelle Hörerfahrung und Geschichte, da er den Raum zu einer bestimmten Zeit betritt und für ihn somit das Gedicht an einem ganz spezifischen Punkt beginnt, somit auch die Handlung von diesem Punkt aus gedacht, mitverfolgt und interpretiert wird.
„Hoch zu Ross“ hingegen sollte in gedruckter Form in einem beleuchteten Rahmen im Flur installiert werden. Erneut war somit der Text Bindeglied und Verbindungspunkt zwischen den einzelnen Räumen, die bei dieser musikalischen Vernissage bespielt worden, so wie auch an „Bound to Fail“ im Aufzug kaum ein Weg vorbeiführte. Jedoch ist „Hoch zu Ross“ deswegen auch bescheidener, leichter zu übersehen und versteckter gewesen, man musste sich die Zeit nehmen, die Ballade selbst zu lesen, selbst auszusprechen, selbst zum Leben zu erwecken. Und dies war auch der Grund, weshalb ich die Art der Ansprache durch die Person des Erzählers, oder des Sprechers, im Gedicht, wechselte, vom „Du“ hin zum „Ich“. Denn dieses mal würde die Stimme im Kopf des Lesers dieses „Ich“ aussprechen und somit wieder genau den Rezipienten ansprechen und betreffen. Jeder einzelne Leser ist persönlich gemeint, er sieht sich selbst die Geschichte der Ballade durchleben, diese harte und gewalttätige Erzählung von dem Trauma eines Vaters, der Verbrechen begeht (konkret inspiriert von den Vätern, die die Verbrechen als Soldaten, Offiziere und Führer zur Zeit des Nationalsozialismus ausführten). Die Gewalt sie prägt, sie verwirrt, sie verunsichert, sie hatte zur Folge, dass noch bis heute hinein Menschen den Holocaust leugnen, sich erneut zu rechtem Gedankengut hinwenden und die alten Parolen schwingen, die Helden von früher glorifizieren und verherrlichen, Familien zerbrochen und verwüstet sind durch Lügen und Betrug und sich Kinder bis heute noch mit scheinheiligen Ausreden beruhigen, um nicht der Wahrheit ins Auge zu sehen und sie ertragen zu müssen. Und in der Linearität dieses Gedichts, sowie der realitätsnahen und beinahe dokumentarischen Sprache, der Ungeschöntheit und Direktheit ist „Hoch zu Ross“ durchaus vergleichbar mit der Art, wie die historischen Vorläufer von Balladen aufgebaut waren, jedoch erweitert um tiefere Ebenen des Symbolismus und eine freiere Sprachwahl und Formgebung.
Psychologische Kunst, damit habe ich mich vor allem im Kapitel „Störklänge“ intensiv auseinandergesetzt und die Analysen meiner Gedichte, aber auch meiner Zeichnungen, wenn auch bei diesen auf subtilerer und natürlicherer Ebene, knüpfen direkt an dieses Konzept an. Ich möchte in meinen Arbeiten Erlebnisse kreieren, die den Betrachter aufrütteln und wach reißen, ihn herausfordern und mit seiner Wahrnehmung spielen. Interdisziplinäre Projekte bieten hierfür den nötigen Freiraum, die Offenheit zum Experiment und zum Wagnis und auch die Verknüpfung verschiedenster Parameter zu einem psychologischen Gesamtwerk. Gerade deshalb möchte ich mich in meinen kommenden Arbeiten im speziellen auf interdisziplinäre Formen konzentrieren und neue Formen erschaffen sowie Alte erweitern und entfremden. Ich habe viele Pläne für den Bereich des Musiktheaters und den damit verbundenen Gestaltungsmöglichkeiten, Bühnenbild, Schauspieler, Kostüme, Masken, Tanz, Bewegungen, Performance, Sprache, Elektronik, Musik, etc. Ich habe viele Pläne für Kooperationen mit anderen Künstlern, mit verschiedenen Räumen und Umgebungen, die sich integrieren ließen in einzigartige Konzepte und neuartige Werkgattungen. Ich habe viele Pläne für den Umgang mit all den zur Verfügung stehenden Parametern, der Reifung meines Konzepts von Purity, Clarity und Brutality und meiner Art, Kunst zu machen. Ich habe viele Pläne und hoffe, dass ich auch die Kraft, die Zeit und die Unterstützung finden werde, um sie in den nächsten Jahren in die Realität umzusetzen.
Zum Abschluss dieses Kapitels möchte ich auf eine ganz spezielle Form zu sprechen kommen, welche mir sehr am Herzen liegt und für die ich viele Träume und Ideen habe: das Hörspiel. Für mich ist es die schönste Form akustischer Kunst, die es gibt und gleichzeitig auch eine der meist unterschätzten, ignorierten und schlecht gemachten. Das Hörspiel als Form vereint die drei Elemente, die mir in der Musik am wichtigsten sind, zu einer Einheit, die Sprache, das Geräusch und der Ton. Auf diesen drei Elementen aufbauend kann man im Hörspiel große Geschichten entfalten, zwischen dokumentarischer Realität und fantastischer Utopie, zwischen psychologischem Drama und spielerischer Klangkunst. Stimme, Instrumente und Aktionen können aufgenommen und danach durch den Schnitt, wie am Beispiel von Luc Ferrari schon aufgezeigt, und die Verwendung weiterer elektronischer Gestaltungsmöglichkeiten verfremdet und manipuliert werden, so dass sich die Klänge nicht mehr voneinander unterscheiden lassen, zum Beispiel die Sprache zum Ton wird, der Ton zum Geräusch oder das Geräusch zur Sprache.
In meinen bisherigen Arbeiten mit Aufnahme und Wiedergabe von Klängen, im Zuge der Klanginstallationen, habe ich ein Konzept entwickelt, welches ich als Grundlage meiner Arbeiten im Hörspiel verwenden möchte: die O-Ton-Poesie. Das heißt die Komposition mit originalen Aufnahmen, die poetische Gestaltung eines Werks durch den Schnitt und den Verzicht auf zu viel Effekte, Showeinlagen und technischen Firlefanz. Stattdessen soll der authentische Klang im Mittelpunkt stehen und sich aus ihm heraus und mit seiner Hilfe große imaginative Theaterstücke ergeben. Denn das ist die eigentliche Stärke des Hörspiels, die Imagination. Für mich ist das Hörspiel untrennbar mit dem gespannten, alleine in einem kleinen Raum, um sich voll und ganz der Musik hinzugeben, vor dem Radio Sitzen verbunden. Dieses Erlebnis lässt sich noch intensivieren, wenn man zudem die Musik in einem abgedunkelten Zimmer über Kopfhörer anhört. Diese introvertierte und abgeschiedene Art der Wahrnehmung ist für mich die höchste und perfekteste und ich ziehe sie in den meisten Fällen auch jedem Live Konzert vor. Ich weiß, dass diese Haltung äußerst kontrovers, sehr einseitig und im historischen und sozialen Kontext mehr als fragwürdig ist.
Und mit dem Hörspiel als Musik für Kopfhörer, für Individuen, die genau dann das Werk anhören, wann sie es wollen, lässt sich die Idee eines imaginativen Theaters, eines psychologischen Kammerspiels vervollkommnen. Eine Welt nur aus Klängen, ein Drama, dass nur in unseren Köpfen entsteht und eine Freude an der Schönheit der Musik, die nur im stillen Kämmerchen, im Elfenbeinturm, abgeschottet von der Realität, dem Alltag und den anderen Menschen erlebt werden kann. Das Hörspiel kann die Menschen persönlich, individuell und gnadenlos direkt ansprechen, ihnen ins Ohr flüstern und schreien, es kann sie konfrontieren mit ihren vergessenen Träumen, ihren tiefsten Ängsten, ihren verdrängten Erinnerungen, ihren ungestillten Sehnsüchten, ihren verlorenen Hoffnungen, ihren erbarmungslosen Zweifeln. Es kann den Hörer wirklich bewegen, nachhaltig prägen und verändern. Ich habe viele Pläne für das Hörspiel, es wird Zeit, dass ich sie in die Tat umsetze.